Geodätische Exkursion in das Erzgebirge

Vom 30. Mai bis zum 2. Juni 2019 organisierte die Bezirksgruppe Düsseldorf eine Fachexkursion nach Sachsen. Im Erzgebirge begaben sich 24 Kolleginnen und Kollegen auf die Spuren von Adam Ries und erfuhren einiges über vermessungstechnische Kulturdenkmale. Des Weiteren stand in Freiberg, der Stadt des Erzbergbaus, neben einer städtebaulichen Führung mit Blick auf dem Strukturwandel zum Technologiestandort eine Einfahrt in das Silberbergwerk „Reiche Zeche“ auf dem Programm. Bei der viertägigen Exkursion hatte die Gruppe einen großartigen Einblick in die Fachgeschichte, aber auch viel Spaß abseits des Fachprogramms.

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Seit Jahrzehnten veranstaltet die Bezirksgruppe Düsseldorf Geodätische Exkursionen. Dabei ist es üblich, ein geodätisches Fachprogramm in einem möglichst familiären Rahmen zu präsentieren. Wir bieten fachliche Vorträge und treffen zugleich unsere Kolleginnen und Kollegen außerhalb des stressigen Berufsalltages auf unserer Ausfahrt.

 

 

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Die diesjährige Exkursion führte uns in die erst kürzlich zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannte Montanregion Erzgebirge/Krušné hory. Das Erzgebirge ist das Grenzgebirge zwischen dem Freistaat Sachsen bzw. der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik. Bis auf eine Ausnahme im Jahr 1546 in Folge des Schmalkaldischen Krieges ist der Grenzverlauf seit dem Vertrag von Eger (tschechisch: Cheb) von 1459 im Wesentlichen unverändert. Sie ist damit eine der ältesten noch bestehenden Grenzen Europas.

Das Gebirge selbst entstand vor zirka 600 Millionen Jahren als Pultschollengebirge. Von großer Bedeutung war seit langer Zeit der Reichtum an Bodenschätzen. Die Blütezeit des Bergbaus lag im Mittelalter, als Silber-, Zinn-, Wismut- und Kobalterze gewonnen wurden. Der Bergbau im sächsischen Erzgebirge ist weltbekannt. Das Gebirge erhielt durch den Bergbau nicht nur seinen Namen, sondern auch viele eigenständige kulturelle Traditionen. Bergbau, Hüttenwesen und zahlreiche nachgeordnete Gewerke erhoben die Mark Meißen (das spätere Kurfürstentum bzw. Königreich Sachsen) über eine lange Zeit zu einem der gewerblich, kulturell und politisch am meisten entwickelten Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

Heute noch berühmte Bergstädte wie Schneeberg, Annaberg, Sankt Joachimsthal (heute Jáchymov/Tschechien) oder Marienberg schossen Ende des 15. Jahrhunderts wie Pilze aus dem Boden und wuchsen innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu Großstädten der damaligen Zeit heran. Die im Erzgebirge geprägten Taler verhalfen der Silberwährung zum Durchbruch. Hier spielte vor allem der Joachimstaler eine große Rolle, von welchem sich u.a. die Bezeichnung Dollar abgeleitet hat. Bergbau, Bergrecht, Marktscheidewesen, Schmelzwesen und das Rechnungswesen waren führend und wurden zum Vorbild für viele europäische Bergbauzentren. Aber bereits vor dem großen "Berggeschrey" (in vielerlei Hinsicht mit dem Goldrausch in Nordamerika vergleichbar) und den Silberfunden im Westerzgebirge war das Erzgebirge einer der wichtigsten Zinnlieferanten. Deutschlands ältestes Zinnbergbaugebiet und auch die größten Zinnkammern Europas befinden sich hier.

 

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In der Produktion von Blaufarben (Kobalt) und Wismut war das Erzgebirge zeitweise Weltmarktführer. Auch der Rohstoff für das erste europäische Porzellan, welches aus der Meißner Manufaktur stammt, wurde aus dem Erzgebirge geliefert. In der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts wurde das Erzgebirge auch für seine Funde an Uran bekannt, welches u.a. in den sowjetischen Atomwaffen Verwendung fand.

Bis etwa 1990/91 erfolgte noch die Förderung bedeutender Mengen an Zinn-, Wolfram- und Uranerzen. Aufgrund der niedrigen Metallpreise auf dem Weltmarkt musste diese aber aufgegeben werden. Viele der Halden, Pingen und Grubenbaue wurden und werden seitdem rekultiviert und touristisch zugänglich gemacht. Jahrhunderte der berg- und hüttenmännischen Arbeit haben das Erzgebirge zu einer einzigartigen Kulturlandschaft gemacht, die ihren eigenen Charakter bewahrt hat. Die Geschichte des Erzgebirges ist auch heute noch, nach über 800 Jahren Bergbau, durch zahlreiche technische Denkmale, Besucherbergwerke und Museen nacherlebbar. Die bereits erwähnte Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe ist eine besondere und auch folgerichtige Anerkennung dieser Region. In jüngster Zeit kommt tatsächlich auch wieder aktiver Bergbau auf. Vor allem Vorkommen an Flussspat und ähnlichen Mineralien, welche besonders in der chemischen Industrie Verwendung finden, werden erschlossen.

Die Busreise begann am Donnerstag, dem 30. Mai 2019, mit dem Ziel Annaberg-Buchholz im Erzgebirgskreis. Die Reise war ausgebucht, das Interesse der Teilnehmer groß. Nach zirka neun Stunden Fahrt im Komfort-Reisebus erreichten wir dort unsere Unterkunft für die kommenden Tage, das Traditionshotel „Wilder Mann“. Wir wurden herzlich begrüßt, bezogen die sehr gut eingerichteten Zimmer und starteten gleich zum ersten Punkt unseres Programms – Stadtführungen in zwei Gruppen durch den historischen Stadtkern der durch ergiebige Zinn- und Silberfunde reich gewordenen Stadt. Neben sehr interessanten Erläuterungen, gut erhaltener, geschichtsträchtiger Bausubstanz, machten uns die Stadtführer bewusst, dass wir die nächsten Tage in einer Gegend verbringen würden, in der überlieferte alte Traditionen sehr bewusst gepflegt werden. Eine dieser Traditionen fand anschließend in Form des gemeinsamen Abendessens im Ratskeller statt. Es wurde uns das für diese Gegend typische Weihnachtsessen „Neinerlaa“ (Neunerlei, da aus neun verschiedenen Teilspeisen bestehend) serviert. Im gemütlichen Ambiente klang der erste Tag unserer Reise aus.

Jeder kennt den Spruch: „Das macht nach Adam Ries…“. Der Rechenmeister und sächsische Bergbeamte lebte und starb in Annaberg. Adam Ries ersetzte die römischen Ziffern durch arabische. Er schrieb Standardwerke über die Rechenkünste in deutscher statt lateinischer Schrift, was zu jener Zeit ein Novum war. Während einer Führung in seinem, zum Museum umfunktionierten, ehemaligen Wohnhaus, erhielten wir Einblick in die damalige Zeit sowie in die von ihm gegründete Rechenschule. Von der Schulbank zum nächsten Programmpunkt, Besichtigung des größten spätgotischen Kirchenbaus Sachsens - der „Sankt Annenkirche“ - ging es steil bergauf. Die Straßenführung in Annaberg führt aufgrund der topographischen Beschaffenheit insgesamt nur steil aufwärts oder ist sehr abschüssig. Die prunkvolle Ausgestaltung der Kirche zeugt vom ehemaligen Reichtum der Bürger dieser Stadt.

Nun gelangten wir wortwörtlich zum Höhepunkt der Reise. Wir fuhren mit dem Bus zur höchsten Erhebung Sachsens, dem Fichtelberg mit einer Höhe von 1215 Metern ü. NHN. Er ist gleichzeitig der zweithöchste Gipfel des Erzgebirges, lediglich vom etwa drei Kilometer entfernten, allerdings schon auf tschechischer Seite gelegenen, Keilberg (tschechisch: Klínovec) mit seinen 1244 Metern ü. NHN übertroffen.

Ab jetzt erweiterte sich unsere Reisegruppe um eine Person. Herr Rainer Nitzsche (DVW Sachsen e.V.) aus Dresden begleitete uns von nun an sehr kompetent beratend.

Auf unserer Exkursion sollte uns die „Königlich Sächsische Triangulirung“ (so der Originaltitel) begegnen und begleiten. Deren Stationen erster Ordnung waren Teil der von Generalleutnant Johann Jacob Baeyer initiierten Europäischen Gradmessung. Im Jahr 1862 trafen sich in Berlin unter Leitung Baeyers, seines Zeichens auch Geodät und Leiter des Geodätischen Instituts in Potsdam – dem heutigen Geoforschungszentrum – Vertreter Preußens, Sachsens und Österreichs, um über den Hergang dieser Kampagne zu beraten. Das geschah sehr erfolgreich, denn noch im selben Jahr wurde mit den Arbeiten zu diesen Messungen begonnen. In Sachsen wurden sie von drei so genannten Gradmessungskommissaren ausgeführt, den Professoren Carl Christian Bruhns (Leipzig, u.a. Leiter der dortigen Sternwarte), Julius Ludwig Weisbach (Freiberg, er gilt als Begründer der neuen Markscheidekunst) und August Christian Nagel (Dresden, erster ordentlicher Lehrer für Geodäsie in Sachsen) ausgeführt. Besonders Nagel wird die Königlich Sächsische Triangulierung als sein Lebenswerk zugerechnet. Er bestand darauf, dass zum Zwecke der Vermessungen einzigartige TP-Säulen errichtet wurden. Diese teilweise ausnehmend schönen und oft aus Granit gefertigten Säulen, welche auch „Nagelsche Säulen“ genannt werden, sind mitunter mehrere Meter hoch und stellen heute bedeutsame Kulturdenkmale dar. Bekanntester Schüler Nagels war der in Freiberg geborene Friedrich Robert Helmert.

 

 

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Das Programm beinhaltete aber auch das Kennenlernen typisch erzgebirgischer traditioneller Handwerkskunst. Wir fuhren die Räucherkerzen-Manufaktur in Crottendorf an. Ob Museumsbesuch, die Möglichkeit des Kaufens von erzgebirgischen Handwerkserzeugnissen, die Herstellung von echten Räucherkerzen zu beobachten oder bei Kaffee und Kuchen im hauseigenen Café zu sitzen, hier war Entspannung möglich. Von Crottendorf aus hat man Sicht auf den Scheibenberg, neben Bärenstein und Pöhlberg einer der drei großen Basaltberge im Erzgebirge. Auf dem Scheibenberg, welcher durch seine „Orgelpfeifen“, einer markanten Basaltsteinformation, bekannt ist, befindet sich eine 1864 errichtete Station der Königlich-Sächsischen Triangulierung.

Unser Tagesplan führte uns durch die erzgebirgische Landschaft wieder Richtung Annaberg-Buchholz. Der Bus hielt im Tal gelegenen Ortsteil von Annaberg, in Frohnau – der Wiege des Silberfundes im Annaberger Gebiet. Eines der dortigen historischen Fachwerkhäuser war unser nächstes Besichtigungsziel, der Frohnauer Hammer. Diese Sehenswürdigkeit ist das älteste Schmiedemuseum Deutschlands und das erste technische Denkmal Sachsens, ein Sachzeuge vorindustrieller Entwicklung im Erzgebirge.

Vom Ortsteil Frohnau, welcher sich deutlich tiefer gelegen befindet, schlossen wir den Tag in den Gasträumen des Berghotels auf dem Hausberg von Annaberg, dem Pöhlberg mit einer Höhe von 832 Metern (NHN), ab. Der Pöhlberg ist ebenfalls Standort der Königlich Sächsischen Triangulierung. Passend dazu erfreute uns Herr Rainer Nitzsche mit weiteren Vorträgen über vermessungstechnische Kulturdenkmale in Sachsen. In unterhaltsamer und sehr aufschlussreicher Art brachte er uns die „Nagelschen Säulen“ ebenso näher wie die kursächsischen Postmeilensäulen.

Am Samstag, dem 01. Juni 2019, fuhren wir in die Berg- und Universitätsstadt Freiberg. Dort nahm uns Herr Rainer Bruha, seines Zeichens Bürgermeister für Bauwesen im Ruhestand, in Empfang. Gemeinsam liefen wir zum Freiberger Dom, ein berühmtes Wahrzeichen dieser Stadt. Neben der Domführung hatte er für uns ein Orgelkonzert organisiert. So konnten wir uns am Klang der Silbermannorgel erfreuen.

Die Führung durch die Altstadt von Freiberg war dahingehend besonders interessant, als dass Herr Bruha auf Grund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit und fachlichen Expertise städtebauliche Aspekte sowie herausragende Sanierungsmaßnahmen fachkompetent erläuterte.

Der Abschluss des Stadtrundganges führte uns zum Geburtshaus des uns allseits bekannten Friedrich Robert Helmert.

 

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Nach gemeinsamen Mittagessen teilte sich unsere Gruppe. In etwa die Hälfte der Reiseteilnehmer besuchte im Schloss Freudenstein die Ausstellung „Terra Mineralia“. Diese Mineralienausstellung umfasst Minerale, Edelsteine und Meteorite aus der ganzen Welt und ist mit über 3.500 Exponaten eine der größten der Welt.

Die andere Hälfte der Reiseteilnehmer fuhr mit dem Bus zum Silberbergwerk „Reiche Zeche“, welches sowohl Besucher- als auch Lehrbergwerk für Studenten der TU Bergakademie Freiberg ist. Herr Dr. Martienßen vom Institut für Markscheidewesen und Geodäsie empfing uns und übernahm unsere Führung. Während der anderthalbstündigen, teils sehr anstrengenden Grubentour unter Tage erfuhren wir sehr viel über den historischen Erzbergbau sowie über das Markscheidewesen. Diese Teildisziplin der Geodäsie bereicherte unser Wissen und war für alle sehr interessant.

 

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Es war wieder ein sehr inhalts- und aufschlussreicher Tag. Im Hotel angekommen verarbeiteten wir bei einem gemeinsamen Abendessen die Tageserlebnisse. Wer noch nicht müde war konnte mit den Annaberger Bürgern die jährlich stattfindende „Annaberger Modenacht“ feiern.

Der Sonntag war der Tag unserer Rückreise. Allerdings mit einem kleinen Zwischenstopp. Unser Busfahrer, welcher durchweg sicher und souverän das Fahrzeug steuerte, durfte noch einmal sein ganzes Können auf der Talstraße entlang der Zschopau demonstrieren. Dem Fluss folgend kamen wir zur gleichnamigen Stadt, welche im 11. Jahrhundert entstand. Ein Bergfried, genannt „Dicker Heinrich“, welcher auf einem Felsvorsprung errichtet wurde, diente zur Sicherung einer Flussquerung der Zschopau. Die so genannten „Böhmischen Steige“ waren Handelswege, vielfach Salzstraßen, welche unter anderem von Leipzig nach Prag und darüber hinaus führten. In Zschopau gab es ebenfalls Erzbergbau, allerdings waren die Funde bei weitem nicht so ergiebig wie in anderen Bergstädten der Region.

Bekannter ist Zschopau als Motorradstadt. Hier stand ein Werk der Firma DKW (welche ab 1904 zunächst im Chemnitzer, aber ab 1907 im Zschopauer Handelsregister eingetragen war). 1922 startete man mit der Produktion von Motorrädern. Seit 1928 waren DKW bzw. die Zschopauer Motorenwerke J. S. Rasmussen AG mit einer Jahresproduktion von 65.000 Motorrädern der größte Motorradhersteller der Welt. Im gleichen Jahr kaufte Rasmussen die Audi-Werke. 1932 fusionierten nach Anregung Rassmussens die Firmen DKW, Audi, Horch und Wanderer zur Auto-Union. Deren Symbol waren die vier Ringe, welche heute noch an jedem Audi zu sehen sind. Nach dem zweiten Weltkrieg lief die Motorradproduktion ab 1950 wieder an. Ab 1956 fertigte man unter dem Namen VEB Motorradwerk Zschopau (MZ). MZ entwickelte sich rasch zum größten Motorradhersteller Europas und Ende der 70er Jahre auch wieder zum größten Produzenten der Welt. Nach der Wiedervereinigung scheiterten mehrere Privatisierungsversuche. Schlussendlich wurde die Produktion vollständig eingestellt.

Das Zschopauer Schloss „Wildeck“, in dessen Mitte der besagte Bergfried steht, beheimatet unter anderem ein Museum zur Geschichte des Motorradbaus. Aufgrund der anstehenden langen Busfahrt konnten wir leider nur einen kurzen, knapp einstündigen Halt hier machen. Von Zschopau aus ging die Rückreise über Chemnitz, durch Thüringen und Hessen wieder nach Nordrhein-Westfalen. Zirka halb sieben Abends endete unsere Tour am Düsseldorfer Busbahnhof. Zufrieden und mit einer großen Fülle an neuen Eindrücken und Erkenntnissen trennte sich die Reisegesellschaft an dieser Stelle.

Sven-Eric Fischer

 

 

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